Häufige Gedanken und Gefühle von Betroffenen
Zum einen hängt unsere Art des Trauerns von unserer Persönlichkeit ab: Durften wir trauern, also durften wir weinen und wütend sein, vielleicht auch verzweifelt und tief traurig sein? Oder wurde es von den Eltern überspielt. Wir bleiben dann mit all unseren Fragen und Schmerzen allein und erfahren, dass es besser ist, solches mit sich abzumachen, aber die Seele ist tief verletzt und beschließt sich nicht so schnell wieder zu öffnen, um verletzt zu werden.
Es ist unsere Trauer aber auch sehr abhängig von den Beziehungen, die wir hatten. Wenn wir mit Menschen eine sehr intensive Beziehung aufbauen, dann wachsen wir zusammen, unsere Seelen verbinden sich, unsere Wünsche, Träume und Hoffnungen. Wir fühlen uns dann bei dem Tod wie entzweigerissen, entwurzelt. Wir verstehen die Welt nicht mehr, wissen nicht mehr wer wir sind und welchen Wert wir nun alleine haben. Wir verlieren einen sehr großen Teil unserer Identität. Mehr als 50% von mir ist verloren gegangen. Wir sind dann nicht mehr die Ehefrau oder der Ehemann, wir stehen plötzlich alleine, ungeschützt da. Bei dem Verlust eines Kindes, der mir nach meiner Erfahrung am schwersten ist, sind wir nicht mehr die Mutter, der Vater – wir verlieren unsere Wünsche und Hoffnungen für die Zukunft. Bei dem Tod der Eltern sind wir nicht mehr Tochter oder Sohn, sondern wir sind jetzt selber, diejenigen die in der Generationsfolge nachrücken. Wir können, dann nicht mehr Kind sein von … wir verlieren ein Stück unserer Vergangenheit, denn mit wem können wir noch die Erinnerungen aus der Kindheit austauschen. Man sagt, dass man mit dem Tod der Eltern ein Teil Vergangenheit verliert, wer kann uns jetzt noch etwas über unsere Kindheit erzählen, beim Verlust des Partners die Gegenwart und bei dem Verlust des Kindes die Zukunft. Dadurch wird auch immer wieder die Wunde aufgerissen, z.B. mit den immer wieder kehrenden Gedanken: jetzt würde unser Kind in die Schule kommen, jetzt hätte es die Schule fertig, würde vielleicht heiraten und jetzt bekämen wir vielleicht Enkel. Unser Abschied wird davon geprägt sein, wie wir die Beziehung erlebt haben: Haben wir viele Wunden erlebt? Blieb vieles unausgesprochen? Schuldgefühle? oder Hass? Versäumtes, was wir nicht wagten zu leben? Die Trennung und der Tod spiegelt uns noch einmal ganz deutlich die Beziehung, wie sie war.
Hatten wir eine gemeinsame Zeit des Abschieds? Wussten wir von der dem Tod und haben wir miteinander gesprochen? Denn dann haben wir schon gemeinsam mit einander Abschied gelebt, sind schon ein Stück weit den Weg in das Land der Trauer gegangen.
Oder hat den Tod uns plötzlich überfallen? Haben wir vielleicht einen Anruf bekommen und erfahren das der Angehörige verstorben ist? Dieser Schock, lässt uns innerlich erstarren und voller Unglauben zurück und doch weiß die Seele zutiefst, dass etwas Grausames geschehen ist. Konnten wir vielleicht auch gar nicht Abschied nehmen von dem Verstorbenen, sei es durch letzte Worte oder sei es von seinem Körper, damit wir begreifen, auch körperlich spüren konnten, dass in diesem Körper kein Leben mehr ist. Oder wurde uns davon abgeraten, ‘den Verstorbenen so in Erinnerung zu behalten, wie er in gesunden Tagen war’, dabei quält sich unsere Seele, ob der andere denn wirklich tot war. Ob es nicht ein Irrtum war und jemand ganz anders gestorben ist? Haben wir von dem verstorbenen und seinem Körper nicht Abschied nehmen können, so belastet das oftmals die Seele noch mehr, weil sie den Tod nicht begreifen kann. Es bleibt ein Vermisstenstatus. Zu dem Schmerz um den Verlust der geliebten Person kommen bei dieser Infektion viele Schuldgefühle, die die Trauer erschweren und uns an den Verstorbenen binden. Hätte ich doch nur hingehen können und sprechen, den Angehörigen nicht alleine lassen. Warum hat es diese Infektion nur verhindert. Hätte ich doch …
Lassen Sie diese Gedanken zu. Vielleicht schreiben Sie diese wie einen Brief an den Verstorbenen auf oder beginnen ein Tagebuch. Um den Trauerprozess spüren zu können braucht die Seele die Erlaubnis, diese Fragen stellen zu können.
Was passiert, wenn ich mich nicht verabschieden kann?
Eventuell mit einem iPad oder iPhone Gedanken aufsprechen und bitten es im Krankenhaus abspielen zu lassen. So können Gedanken übermittelt werden. Wenn man weiß, dass ein Angehöriger stirbt, man selber aber nicht dabei sein kann, so hilft es Zuhause ein Bild aufzustellen, und sich unterhalten und das sagen was man sagen will. Die Gedanken und Gefühle verbinden sich mit sich mit dem Menschen der stirbt.
Manchmal kann man auch gar nichts tun, still dasitzen und innerlich sprechen, an den Menschen denken und ihm vergewissern, das diese Gedanken den Sterbenden begleiten.
Viele wollen dann nicht alleine sein, so ist es hilfreich vertraue Personen um sich zu haben.
Es sind sehr schwere Momente in unserem Leben. Tage später schreiben Sie einen Brief, der alles enthält, was gesagt werden sollte. Gehen Sie zum Grab und übergeben Sie diesen Brief in die Erde zum Grab.
Der Trauerprozess
Kurz nach dem Tod erleben sich die meisten Menschen wie gelähmt. Sie können die Abwesenheit des Anderen noch gar nicht fassen, es scheint ihnen unwirklich, eher wie ein böser Traum. Sie funktionieren. Sie fühlen den abwesenden Menschen noch ganz nah bei sich. „Ich habe doch nur an einen grippalen Infekt gedacht.“ Das Ereignis scheint noch gar nicht ihre Seele ergriffen zu haben. Es ist der Schockzustand und nicht die eigene Kraft, die dem Abschied nehmen ermöglicht, das zu erledigen, was nötig ist zu tun.
Jetzt sind Familienmitglieder und Freunde wichtig. Sprechen Sie so viel wie es ihnen möglich ist mit Menschen. Schreiben Sie weiter ihre Gedanken auf.
Die Gefühle und Gedanken
Irgendwann brechen dann die Gefühle und die Gedanken auf. Der Verlust eines nahen Menschen löst viele verschiedene, oft auch einander widersprechende und sehr starke Gefühle in uns aus. Wir werden von einem zum anderen hin- und hergeworfen. Da kann es sein, dass wir in dem einen Moment ganz ruhig und gefasst sind und dann beim Einkaufen, einen Lieblingskäse sehen und plötzlich mitten im Geschäft anfangen zu weinen. Oder wir fühlen uns alleine und von Freunden verlassen, obwohl sie immer wieder anrufen. Oder wir nehmen Einladungen an und im letzten Augenblick sagen wir ab und klagen dann über Einsamkeit und das sich niemand um uns kümmert.
Abschiednehmende werden von den vielfältigsten Gefühlen überrollt, ganz unberechenbar und plötzlich. Viele beschreiben es als eine ‘Achterbahn’ der Gefühle: Wut – Liebe – Angst, Leere – Schuld – Verzweiflung – Befreiung – Selbstmitleid – Müdigkeit, Erschöpfung …
Diese Überrollung und Vielfältigkeit, der Wechsel, das Hin- und Her, sich manchmal nicht zusammen reißen zu können, das unberechenbare – es ist normal, keiner braucht sich, für diese Gefühle zu schämen oder diese zurückzuhalten.
Vom Vermissen und Fragen
Wohl kaum ein anderes Ereignis, wie der Verlust eines nahen, geliebten Menschen, kann uns so in den Abgrund von bedrängenden Fragen stürzen. Die Begegnung mit Sterben und Tod ist wohl die tiefste Erschütterung unseres Lebensgrundes und stellt häufig unseren Glauben radikal in Frage.
Da sind einmal die großen Warum-Fragen:
- Warum starb ausgerechnet sie/er?
- Warum hatten wir nur so wenig Zeit?
- Warum konnte ich in der letzten Stunde nicht bei ihr/ihm sein?
- Warum hat meine Liebe dich nicht halten können?
- Warum nur musste mir, uns das geschehen?
Wenn sie diese verschiedensten Fragen zulassen und sie eventuell aussprechen und besprechen können, kommen in der Innenwelt langsam auch die Antworten ins Bewusstsein.
Vom Suchen – Finden und Sich – Trennen
Auf dem Weg der Trauer schwanken wir vom Nicht-Wahrhaben wollen, dem Suchen, Finden und sich auch Trennen hin und her. Der Verstorbene wird in Gesprächen, in Träumen und Erinnerungen gesucht.
Zum einen ist es ein Zeichen, dass der Trauernde den Verstorbenen noch gar nicht loslassen kann, ihn sucht, hofft, ihn doch im nächsten Augenblick zu sehen oder glaubt, er sei nur auf eine Reise gegangen und kehre bald wieder nach Hause zurück. Zum anderen ist nach einer Trennung dieser Mensch immer noch anwesend und man bekommt ihn nicht aus seinen Gedanken und dem Umfeld verbannt.
Dieses Gefühl des Nahe seins, Bewahrens von Erinnerungen, Bilder anschauen, den Menschen wieder spüren, ihn hören, ist wichtig und langsam beginnt ein goldenes inneres Schatzkästchen zu wachen, in dieses kommen die Bilder, Stimmen, Gerüche, Erinnerungen und alles das, was uns mit dem Verstorbenen verbindet. Erst ist es offen dann kann es geschlossen werden, es wird aufgehoben und jederzeit geöffnet, wenn es die Seele benötigt, um den Inhalt zu durchdenken.
Von der Zeit
Jeder Abschied braucht seine Zeit. Für manch einen ist es richtig zwei Jahre schwarze Trauerkleidung zu tragen oder erst nach fünf Jahren das Zimmer des Ehemannes anders einzuräumen und für sich diesen Lebensraum zu gestalten. Gerade beim Abschiednehmen von den äußeren Dingen hat jeder sein eigenes Zeitmaß. Für den einen ist es wichtig schon im ersten halben Jahr alle Sachen weggeräumt zu haben. Für ihn ist es zu schmerzlich, sonst immer wieder an den anderen erinnert zu werden. Jemand anders wiederum braucht dafür lange Zeit, zuerst trennt er sich vielleicht von dem, was jemand anders brauchen könnte, dann spürt er, dass er vielleicht manche Bilder anders hängen möchte, dann nimmt er vielleicht Abschied von den Kleidungsstücken oder räumt das Zimmer anders ein. Dieser Abschied von den Dingen im äußeren ist noch mal sehr schwierig und schmerzlich und oftmals auch von schlechtem Gewissen begleitet.
Vom neuen Selbst- und Weltbezug
Irgendwann ist dann der Verlust des anderen Menschen akzeptiert. Die Wellen der Trauer und des Verlustes werden weniger, auch weniger stark und wir empfinden überwiegend innere Zustimmung zu dem was geschehen war. Wir können erkennen, dass der Tod uns nicht nur etwas genommen haben, sondern dass wir durch ihn auch, trotz des Schmerzes etwas bekommen haben. Wir können durch die Veränderung erkennen wie kostbar dieses Leben ist.
Der Mensch, der durch Abschied und Trauer gegangen ist, hat sich verwandeln lassen und erkannt, dass Leben Wandel und Veränderung bedeutet. Wir verändern uns ständig, fast unmerklich. Abschiedlich leben heißt:
”Wenn etwas von uns fortgenommen wird, womit wir tief und wunderbar zusammenhängen, so ist viel von uns selbst fortgenommen. Gott aber will, dass wir uns wiederfinden, reicher um alles Verlorene und vermehrt um jeden unendlichen Schmerz.
Rainer Maria Rilke